September 17, 2012 | |
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tags: | #female genital mutilation, #FGM, #Genitalverstümmelung, #Irak, #WADI |
located: | Germany |
by: | WADI |
Weibliche Genitalverstümmelung existiert neben zahlreichen afrikanischen Ländern auch in Teilen des Nahen Ostens (Jemen, Oman, Nordirak, Iran) und Ostasiens (vor allem Malaysia und Indonesien).
Infolge der Immigration aus diesen Regionen werden auch in Europa und Nordamerika immer mehr Mädchen Opfer dieser Praxis. Allein in Deutschland sind nach Schätzungen des Vereins „Taskforce FGM“ etwa 50.000 Mädchen unmittelbar von Genitalverstümmelung bedroht. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden derzeit weltweit bis zu 140 Millionen Frauen und Mädchen unter den Folgen von FGM. Jedes Jahr werden etwa drei Millionen Mädchen an den Genitalien verstümmelt. In einigen Ländern Afrikas, darunter Ägypten, Äthiopien, Somalia und Sudan, sind über 90% der Frauen und Mädchen betroffen. Im Nordirak sind es, Untersuchungen von WADI zufolge, etwa 72%.
Im Irak finden die ritualisierten, doch ohne jede Ritualhandlung an 4 bis 8-jährigen Kindern vorgenommenen „Operationen“ oft unter unzureichenden hygienischen Bedingungen statt. Als Werkzeuge dienen Rasierklingen, Scheren, Küchenmessern oder auch nur Glasscherben. Immer wieder verbluten Mädchen an den Verletzungen.
Viele Mädchen berichten, wie sie von der Mutter unter falschen Vorwänden zu der Beschneiderin gelockt wurden, wo sie dann gepackt und auf den Boden gepresst ihre „Beschneidung“ über sich ergehen lassen mussten. Die Mutter ist nicht nur Organisatorin, sie hilft meistens auch energisch mit. Viele Mädchen erleben diesen Überfall als enormen Verrat und Vertrauensbruch; das kindliche Urvertrauen ist tief erschüttert.
Schmerzen und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Inkontinenz, Unfruchtbarkeit und Komplikationen bei der Geburt sind für die überlebenden Opfer von FGM an der Tagesordnung. Die Orgasmusfähigkeit ist oft zerstört, der Geschlechtsverkehr bereitet Schmerzen und ist für die Frauen alles andere als ein Vergnügen. Oft besteht ein starker psychischer Leidensdruck, ausgelöst zum Einen durch die eingeschränkte Fähigkeit sexuellen Erlebens und daraus resultierender Schwierigkeiten in der Partnerschaftsbeziehung, zum Anderen durch das traumatische Erlebnis der Verstümmelung selbst. Traumatisierend wirken dabei neben der extremen Gewalterfahrung auch die intensiven Eindrücke des Gedemütigtseins, der Bloßstellung und Erniedrigung.
Das Schweigen wurde endlich gebrochen. WADI hat gemeinsam mit anderen Aktivist/inn/en und Menschenrechtsorganisationen in Irakisch-Kurdistan erreicht, dass in Presse, Funk und Fernsehen mittlerweile offen über das Problem Genitalverstümmelung gesprochen – und gestritten – wird. Das ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg. Die Diskussion über FGM ist in der Öffentlichkeit angekommen, und das freie Pro und Contra bricht die alte Macht des Tabus.
Befürworter/inn/en von FGM berufen sich auf Gebote von Tradition und Religion. Unter Vertretern des Islams gibt es unterschiedliche Positionen. Viele glauben, weibliche Genitalverstümmelung sei eine islamische Pflicht, die sich gerade nach schafi’itischer Rechtsauslegung eindeutig aus den Überlieferungen Muhammads ergebe, während andere die Authentizität dieser Quellen bezweifeln oder sie im historischen Kontext verstanden wissen wollen.
Parlamentsabgeordnete und Regierungsmitglieder neigten zunächst dazu, das Problem Genitalverstümmelung zu leugnen oder kleinzureden. Im Jahre 2010 veröffentlichte das Gesundheitsministerium dann eigene Untersuchungsergebnisse, denen zufolge die FGM-Rate 41% betrage. Im Sommer 2011 schließlich sollte die jahrelange Kampagnenarbeit der Aktivist/inn/en endlich Früchte tragen: Das Parlament verabschiedete ein neues Gesetz gegen häusliche Gewalt, das erstmals auch weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellte. Empörte islamische Geistliche machten daraufhin gegen das Gesetz mobil. Obwohl der Präsident der Kurdischen Regionalregierung das Gesetz bislang nicht ratifiziert hat, wurde es Anfang September im Gesetzgebungsblatt veröffentlicht und ist damit offiziell in Kraft getreten.
Seit Jahren besuchen WADIs Mobile Aufklärungs- und Beratungsteams die Dörfer Irakisch-Kurdistans. Die speziell ausgebildeten Mitarbeiterinnen stammen selber aus der Region und kennen die lokalen Mentalitäten und Gepflogenheiten. Sie versammeln die Frauen und Mädchen im Dorf und diskutieren mit ihnen über die allgemeine Situation für die Frauen im Dorf, geben grundlegende Gesundheits- und Hygienetips und sprechen nach einer Zeit der Vertrauensbildung auch das Thema Genitalverstümmelung an.
Die Überzeugungsarbeit funktioniert nicht immer, aber erstaunlich oft. Mittlerweile gibt es viele Dorfgemeinschaften, die sich von dem blutigen „Ritual“ losgesagt haben. WADI hat daher nun ein FGM-free Village Programm begonnen, bei dem aufgabewillige Dörfer im Gegenzug für ihr öffentliches Bekenntnis zu „Stop FGM“ mit kleinen Sozial- und Infrastrukturprojekten ihrer Wahl belohnt werden.
In der Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit sieht WADI einen Schlüssel zur Bekämpfung von FGM. FGM als objektiv unnötiges, rein gesellschaftlich produziertes Elend kann letztendlich nur von den Menschen selbst bekämpft und abgeschafft werden, daher ist ihr aktives Bekenntnis und ihr Mut zur innergesellschaftlichen Auseinandersetzung von so entscheidender Bedeutung. Die Stop-FGM-Kampagne hat sich sehr bewährt – viele Frauen in Irakisch-Kurdistan identifizieren sich mit ihr und tragen zum Zeichen dafür die goldene Narzisse am Revers.
Untersützt die Aktivitäten des Verbandes und spendet auf der Website direkt oder über die internationale Kampagne Stop FGM Kurdistan.
Bildquelle: jrseles
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